Quelle: Allgäuer Zeitung/ Aus dem Oberallgäu 8. Mai 2004
Autor Peter Schwarz / Redakteur der Allgäuer Zeitung
Felsenschlucht mit tosendem Wasser
Eine Klamm ist eine vom Wasser eine Gebirgsbaches ausgewaschene schmale und tiefe Felsenschlucht. Die Breitachklamm darf als Musterbeispiel gelten. Wo sich die tosen den Wasser des Iller-Quellflusses in die Tiefe stürzen, hatte vor tausenden Jahren ein Gletscher mit seinem bis zu 700 Meter dicke Eispanzer das Gebiet überdeckt. Als es wärmer wurde, suchte das Schmelzwasser der Urbreitach einen Weg durch den natürlicher Felsriegel des Engenkopfes, im Lauf vor 10000 Jahren fräst und schmirgelt sich das Sägewerk immer tiefer durch den Schrattenkalk in einer Beschreibung von 1492 wird erstmals die "Zwingth", die Schlucht, erwähnt. 1632 ist die Rede von einem Zwingsteg, der im oberen Teil der Klamm vor einer Felswand zur anderen führt. Bauern, Holzfäller, Jäger, Wilderer und Schmuggler nutzten den gefährlichen Übergang, aber auch Zöllner, auf der Suche nach Bösewichten.
Auf den Hirsch aus, nicht auf die Klamm
Die nachweislich ersten Männer, welche in die Breitachklarnm gestiegen waren, interessierten sich keineswegs für das Wunder der Natur. Sondern sie hatten lediglich einen geschossenen Hirsch im Sinn, der in die Schlucht gestürzt war. Chronist Peter Weiß berichtet von dem Tiefenbacher Jagdhelfer Seraphim Schöll, der für 25 Gulden das Tier aus der Klamm herausholen sollte. Es war ein verwegenes Unterfangen: An gefrorenen Hanfseilen frei im "Zwing" baumelnd, weidete der tollkühne Waidmann das kopfüber am Seil hängende schwere Tier aus, bevor es nach oben gezogen werden konnte. Ein zeitgenössischer Stich veranschaulicht das Abenteuer. Die Vorfahren hatten sich gefürchtet vor dem schrecklichen Ort, wo angeblich die "Zwinggeister" wüteten. Auch nach der Erschließung der Klamm 1904 machten sich die "Muetes", wie sie im Volksmund genannt werden, gelegentlich noch bemerkbar. So mischte sich beim 25-Jahr-Fest ein zottelbärtiger Klammgeist höchstpersönlich unter die Honoratioren. Ob man auch jetzt zum "Hundertsten" wieder Gespenster sehen dürfte?
Pfarrer Johannes Schiebel bezwingt die Klamm
Kein Teufelwerk, sondern "göttliche Schöpfung"
Johannes Schiebel war ein weitsichtiger junger Priester. Er packte 1904 die Erschließung der Breitachklamm an, trommelte die Geldgeber zusammen und diente dem Klammverein als Gründungsvorsitzender. Der Tiefenbacher Pfarrer fand in der abweisenden Schlucht kein Teufelswerk vor, sondern eine "Meisterleistung göttlicher Schaffenskraft". Eigentlich hatte der mit einer starken sozialen Ader und bergsteigerischem Talent gesegnete Geistliche nur eine Einnahmequelle für die bettelarme Bevölkerung schaffen wollen.
In einer Chronik zum 100. Jahrtag der Breitachklamm
Erschließung charakterisiert Peter Weiß Schiebel als einen mutigen und klugen Mann, der auch gegen heftigen Widerstand nicht von seinem Ziel abließ. An einem Hanfseil hängend erkundete Schiebel selbst die bis dahin unzugängliche Schlucht und entdeckte "ein Naturdenkmal von wilder Schönheit". Hochwürdens Urteil: "Die Klamm muss erschlossen werden, koste es, was es wolle."
Es gelang Schiebel, Verbündete zu werben, die in eine Genossenschaft 500 Goldmark pro Anteil einzahlten. Und der Pfarrer fand in dem Südtiroler Bauunternehmer Johann Lucian und dessen Neffen Giovanni kühne Sprengmeister. Fast ein Jahr lang leistete ein Trupp von 20 Mann eine halsbrecherische Schwerstarbeit mit Schwarzpulver und Dynamit, Handbohrern, Pickeln und Schaufeln. Am 6. Mai 1905 erfolgte die erste und gleichwohl immer noch gefährliche Begehung. Pfarrer Schiebel war dabei.
Gern wird erzählt, wie die "Mineure" von damals ihre ersten Sprenglöcher setzten und die Zündungen auslösten. Am langen Seil ging es hinunter; dann wurde die Lunte in Brand gesetzt; und im Eiltempo zog man den Waghalsigen schnell wieder nach oben, bevor ihm die Gesteinsbrocken um die Ohren fliegen konnten. Indes: Während der gesamten Arbeiten kam es nicht zu einem einzigen Unfall. Die Klamm wurde schnell zum Anziehungspunkt der Sommerfrischler. Schon 1922 zählte der Klammverein 100.000 Besucher im Jahr.
Pfarrer Schiebel, der auf dem Burgfriedhof von Schöllang begraben liegt, war mit fast 92 Jahren ein langes Leben beschieden. Noch mit 90 durchstreifte der Ehrenbürger von Tiefenbach und Oberstdorf ein allerletztes Mal das sichtbar gemachte Schöpfungswunder.
Ein Wunderwerk der Natur
Nahezu 20 Millionen Besucher schon haben mit der Breitachklamm zwischen dem Oberstdorfer Ortsteil Tiefenbach und dem österreichischen Kleinwalsertal ein eindrucksvolles Wunderwerk der Natur bestaunen dürfen. Wenn nicht der unerschrockene junge Pfarrer Johannes Schiebel 1904 so ungestüm gedrängt hätte, die damals noch als schauerlicher Höllenschlund verschriene Felsenschlucht mit dem tosenden Gebirgsbach zugänglich zu machen, wäre dieser tiefe Einblick in die unaufhörlich mahlenden Wassermühlen der Erdgeschichte vielleicht heute noch nicht möglich. So aber darf der Breitachklammverein am Samstag, 15. Mai den 100. Jahrestag der Klamm-Erschließung feiern.
"Der Zwing", wie die Einheimischen das von teilweise 100 Meter hohen Felswänden eingezwängte Wasser nennen, hat ein Naturschauspiel zu bieten, dessen Bühne im Sommer wie im Winter die tunlichst mit Regenhaut und festem Schuhwerk ausgestatteten Betrachter fesselt. Das alles ist die Breitachklamm: Wasserwirbel und Strudeltöpfe; ausgeschliffene Mulden und tiefe Gumpen; ein Gewirr von rissigen und glatt polierten Felsklippen; mächtige Felsblöcke im Bett des dahinjagenden Stroms; verklemmte Baumgerippe; Schauder erregende Abgründe; bis auf zwei Meter aneinanderrückende Wände, die kaum einen Lichteinfall in der feuchten Finsternis dulden; aber auch lieblicher Frauenschuh an den unerreichbaren Hängen; gelegentlich ein paar Gämsen ganz oben im Buchen- und Fichtenbestand.
Bizarres Märchenschloss
Der Winter verwandelt den Grand Canyon des deutschen Alpenrands in ein bizarres Märchenschloss, erstarrt hinter Eisvorhängen und bewehrt von dolchscharfen Zapfen, die im Sonnenlicht glitzern. Zwei Kilometer lang führt ein schmaler Steg aus Kies, Holzbohlen und Beton, abgesichert von Eisengeländern, in's innerste dieses Relikts der Eiszeit. Ein niedriger Tunnel, bei dem man unwillkürlich den Kopf einzieht, und schmale Brücken überm brüllenden Wasser sind zu passieren. Vom himmelwärts gerichteten Zwingsteg fällt der Blick in den aufgerissenen Schlund der Klamm.
Bevor im Frühjahr das letzte Schmelzwasser abfließt und ab Anfang Mai die Via Mala des Allgäus wieder für die durchschnittlich 300000 Besucher pro Jahr freigegeben wird, haben die sechsköpfige Mannschaft um den Technischen Leiter des Breitachklammvereins, Max Huber, und zusätzlich zu Hilfe gerufene Bergwachtmänner viel zu tun in der Schlucht. Die "Felsenputzer" sind am Werk. Sie säubern die steilen Wände von lockerem Gestein und quer liegendem Gehölz. Wenn dann die herunterkugelnden Felsbrocken die Gischt durchbrechen und auf dem steinernen Grund aufschlagen, scheppert und hallt es in der Klamm, als ob jemand ans Tor zur Unterwelt pocht. Auch an wackeligen Geländern der mitunter abgerutschten Steige wird jetzt geschweißt, verschraubt und neu verankert. Die Arbeiter schützen sich per Seilsicherung vor dem Sturz in die Tiefe.
Zwischen 15 000 und 20 000 Euro müssen pro Jahr routinemäßig reserviert werden, um das regelmäßige Zerstörungswerk an der mühselig aufgebauten Klamm-Infrastruktur zu richten. So schildern es Vorsitzender Claus-Peter Horle und Geschäftsführer Walter Gerritzen. Es können aber auch 150000 Euro Reparaturkosten auf einen Schlag werden. Das war im März 1996 der Fall, als eine gigantische bis zu 35 Meter hohe Flutwelle durch den "Großen Zwing" schoss und alles zermalmte, was ihr in die Quere kam.
Nur gut, dass an jenem Vormittag der langjährige Technische Leiter und heutige Ehrenvorsitzende, Leo Vogler, etwas später als gewöhnlich seinen täglichen Inspektionsgang durch die Felsenschlucht antreten wollte. Die Flutwelle war Ergebnis eines gewaltigen Felssturzes ein gutes halbes Jahr zuvor, bei de 50000 Kubikmeter Geröll und Felsplatten aus der Wand gebrochen waren. Dadurch war die Breitach aufgestaut worden, bis zu dem Tag, wo der Naturdamm brach.
Bei einem "Tag der offenen Tür" am Sonntag, 16. Mai, von 8.00 bis 18.00 Uhr (letzter Einlass 17.00 Uhr) kann die einzigartige Bergschlucht besichtigt werden, ohne dass es diesmal Eintritt kostet. Unterwegs erwartet die Klammwanderer manche Überraschung.
Die"Klamm-Aktien" werden nur vererbt
Die Anteile werden nur vererbt. Einkaufen kann man sich nicht in den Breitachklammverein, dessen 70 Mitglieder wie eine Genossenschaft organisiert sind. Mehr als vier "Aktien" darf niemand der Nachfahren der Gründerväter besitzen. Es gibt einen Aufsichtsratsvorsitzenden (Oberstdorfs Bürgermeister Thomas Müller), einen Vorsitzenden (Claus-Peter Horle, Chef-Organisator großer Skisport-Veranstaltungen), einen mehrköpfigen Vorstand und einen Geschäftsführer (Walter Gerritzen). In guten Jahren wird eine Dividende ausgeschüttet. In schlechten Jahren, wenn die Naturgewalten in der Klamm zuschlagen, waren schon Kapitalerhöhungen fällig. So nach dem zweiten Weltkrieg, als die Breitachklamm drei Jahre sich selbst überlassen blieb. Der Ehrenvorsitzende Leo Vogler, dessen Leben länger als ein halbes Jahrhundert mit der Klamm verbunden ist, war damals selbst als Arbeiter bei der praktisch ganz von vorne begonnenen zweiten Erschließung dabei. Mit Einmann-Tragen auf dem Buckel, so genannten "Vögeln", hatte man Zement und Kies in die Schlucht geschleppt.
Wie kommt man zur Breitachklamm?
Anreise: Von der B 19 in Richtung Oberstdorf. Kurz vor dem ersten Kreisel von Oberstdorf techts abbiegen in Richtung Tiefenbach. Von dort aus ist der Weg zur nahegelegenen Breitachklamm beschildert. Ausreichend Parkplätze vorhanden. Gaststätte "Breitachklamm". Von Oberstdorf aus (Busbahnhofi besteht eine Busverbindung zur Klamm.
Öffnungszeiten (2004): Sommersaison ab 8 Uhr, letzter Einlass 17 Uhr (nach der Schneeschmelze und Reparaturarbeiten Wiedereröffnung voraussichtlich 8. Mai). Wintersaison ab 9 Uhr, letzter Einlass 16 Uhr. Eintrittspreis: Erwachsener 2,50 Euro; Kinder 1,20 Euro. Ermäßigungen für Besucher mit Gästekarte und für Gruppen.
Wanderwege: in der Klamm 2,5 Kilometer. Weiterführende Wanderwege ab Kasse 1 über Kasse 2 zur Walserschanz, Dornach-Alpe und Sessel-Alpe.
Mit freundlicher Genehmigung der Allgäuer Zeitung.
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